Tourismus als treibende Kraft
Wer übrigens ganz genau hinschaut, der findet sogar in der Geschichte des Schweizer Kunsthandels so etwas wie höfische Wurzeln: Ein erstes Käuferpublikum des Schweizer Kunsthandels stellte nämlich der frühe, kultivierte Grand-Tour-Tourismus, der im 18. Jahrhundert mit unternehmungslustigen Commonwealth-erprobten Engländern seinen Anfang nahm und im romantisch geprägten Europa des 19. Jahrhunderts florierte. So manch wildromantische Schweizer Gebirgslandschaft von François Diday, Alexandre Calame und verwandten Schweizer Malern entstand zu jener Zeit nämlich genauso als kultivierte Reiseandenken für Schweizreisende aus dem Hoch- oder Finanzadel Europas wie viele Venedig-Veduten von Canaletto. Und unter den ersten und wichtigsten Abnehmern, die der Schweizer Kleinmeister und Verleger Johann Ludwig Bleuler um 1845 für sein opulentes Radierungsalbum «Voyage pittoresque aux bords du Rhin et de la Suisse» gewann, fand sich nicht nur der ganze Adel des tourismusbegeisterten Englands, sondern auch des Kontinents bis hin zum Kaiser von Österreich und Marie Isabelle von Sizilien. Luxustourismus und Fremdenverkehr blieben auch späterhin wichtige Triebfedern für die Entwicklung des Schweizer Kunstmarktes. Nicht ohne Grund eröffneten manche seiner Pioniere von Picasso-Entdecker Siegfried Rosengart und dem schwäbischen Expressionismusgaleristen Justin Thannhauser über das Antiquariat Boss(h)ard bis hin zu dessen ehemaligem Geschäftsführer und VSAK-Gründungsmitglied Theodor Fischer ihre Schweizer Niederlassungen oder Galerien in Luzern, einer Pflichtstation im damaligen Alpentourismus.
Vor diesem Hintergrund erledigt sich zugleich die verbreitete, aber falsche Vorstellung, dass hinter dem eindrucksvollen Aufschwung des schweizerischen Kunstmarktes im 20. Jahrhundert in erster Linie die beiden multinationalen Auktionskonzerne Christie’s und Sotheby’s stehen. Als diese ursprünglich vor allem aus steuer- und zollpolitischen Gründen in den 1960er-Jahren ihre Niederlassungen in Zürich und Genf gründeten, konnten sie vielmehr bereits von einer gut ausgebauten und funktionstüchtigen Kunsthandelsinfrastruktur profitieren. Die alteingesessenen einheimischen Kunstversteigerer der Schweiz dagegen, allen voran als erste einheimische Gründung die inzwischen 104-jährige Luzerner Galerie Fischer sowie als international prominentester Schweizer Versteigerer Eberhard W. Kornfeld aus Basel/Bern, haben ihre Wurzeln selbst im traditionellen, nicht versteigernden Kunsthandel. Dies erklärt auch die bei aller Konkurrenz sympathisch-kollegiale Stimmung, die hierzulande zwischen einheimischen Versteigerern und Händlern herrscht: So betreibt etwa Dr. Kuno Fischer die von seinem Grossvater, VSAK-Gründungsmitglied Theodor Fischer, gegründete Luzerner Galerie Fischer heute hauptsächlich als Auktionshaus und amtiert sogar als Präsident des Verbandes Schweizerischer Auktionatoren. Seiner Rolle als Vorstandsmitglied des VSAK steht dies aber ebenso wenig im Wege wie dem Basler VSAK-Vorstandsmitglied Jean-David Cahn der Umstand, dass er neben seiner Galerien- und Messetätigkeit einmal jährlich eine international viel beachtete Antikenauktion abhält.