Der Kunsthandel in der Schweiz
von Dr. Jean Frédéric Jauslin
Der Kunsthandel
Der Kunsthandel begann sich in der Schweiz im frühen 20. Jahrhundert zu entwickeln. In England und Frankreich hatte sich der Stand der Kunsthändler schon seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert herausgebildet. Die Schweiz vermochte sich erst nach 1914 dank heiler monetärer Verhältnisse weitgehend aus dem starken Abhängigkeitsverhältnis von den führenden Umschlagplätzen Paris, London, München und Mailand zu lösen.
In der Entwicklung des Kunsthandelsplatzes Schweiz lassen sich zwei grosse Phasen unterscheiden. In einer ersten Phase, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg reichte, verlief der Kunsthandel parallel zum gesamten schweizerischen Aussenhandel. Die zweite Phase dagegen, die nach dem Krieg begann und sich mindestens bis in die ausgehenden Neunzigerjahre erstreckte, zeichnet sich durch einen rasanten Anstieg des Kulturgüterhandels aus. Dieser verhundertfachte sich, während die Zahl der Importe und Exporte der Schweiz sich insgesamt nur verzehnfachte.
Der Erfolg des Schweizer Kunstmarktes ist neben seinen herausragenden Protagonisten aus historischer Perspektive insbesondere auf die Neutralität und politische Stabilität der Schweiz, die liberalen fiskalischen Verhältnisse und vorteilhaften Import- und Exportbestimmungen sowie den Aufschwung der Banken und der Dienstleistungen zurückzuführen.
Weiter zu erwähnen ist auch die internationale Kunstmesse Art Basel, die für Kunstschaffende, Sammler und Händler auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst und der klassischen Moderne eine Plattform mit weltweiter Beachtung bildet. Sie ist seit nun fast fünfzig Jahren ein wichtiger Bestandteil des Kunstplatzes Schweiz und Anlass für viele, ihren Aufenthalt in der Schweiz auch für den Besuch von Schweizer Galerien zu nutzen. Auch weitere Messen, wie die Zürcher Kunst- und Antiquitätenmesse (Fine Art Zurich), die Basel Ancient Art Fair (BAAF) und der Salon des antiquaires de Lausanne tragen zur Standortattraktivität der Schweiz als Kunsthandelsplatz bei.
Danach nahmen in der Schweiz insbesondere in Basel, Bern, Winterthur und Zürich grosse Mäzene mit ihrer Sammeltätigkeit starken Einfluss auf die Entwicklung des Kunstmarktes und der öffentlichen Sammlungen. Heute ist zudem das Art-Investment von Unternehmen von wachsender Bedeutung. Versicherungen, Banken und die Industrie richten ihr Augenmerk vermehrt auf diesen Bereich und tragen aktuell grosse neue Sammlungen zusammen.
Auch das Kunstschaffen nimmt eine prominente Stellung ein. Schweizer Künstler erzielen auf internationaler Ebene Rekordwerte. So erreichte das Bild Genfer See von Saint-Prex aus von Ferdinand Hodler im Jahr 2007 einen Preis von 10,9 Millionen Franken. Die Skulptur L’Homme qui marche von Alberto Giacometti erzielte bei einer Versteigerung 2010 mit 65 Millionen Pfund ein Spitzenresultat. In der zeitgenössischen Kunst erzielte der übergrosse Teddybär von Urs Fischer (Untitled) 2011 in New York einen Zuschlag von 6,8 Millionen Dollar.
Daneben dürfen viele Schweizer Künstler aus dem 19. Jahrhundert wie Rudolf Koller, Albert Anker oder Giovanni Segantini nicht vergessen werden. Im Bereich der zeitgenössischen Kunst erlangen zurzeit vor allem die Schweizer Videokünstler Pipilotti Rist und Fischli/Weiss Weltruhm. Sie gehören gemäss dem Kunstkompass 2007 von «Capital» mit ihrer Videokunst zu den fünfzig berühmtesten zeitgenössischen Künstlern der Welt.4. Zurzeit sind 2600 Künstler Mitglieder beim Schweizer Berufsverband für visuelle Kunst, und 4000 Personen gaben an, bildende Künstler zu sein. Es ist zu wünschen, dass die Schweizer Kunst vom boomenden internationalen Kunstmarkt im Land profitieren kann.
Kunst und Kultur gehen aus privater Initiative und Fantasie hervor. Mit günstigen Rahmenbedingungen kann der Staat zur Entwicklung unseres Kunsthandels- und Kulturplatzes beitragen.
Die Schweiz setzt sich auch auf internationaler Ebene für gute Rahmenbedingungen ein. Mit der Ratifikation der UNESCO-Vereinbarung von 1950 befreite die Eidgenossenschaft Kunstwerke von sämtlichen Einfuhrzöllen.
Mit der Umsetzung der UNESCO-Konvention von 1970 hat die Schweiz das Kulturgütertransfergesetz (KGTG) in Kraft gesetzt und so die Reputation und die rechtliche Qualität des Schweizer Kunsthandelsstandorts gestärkt.5. Die Entwicklung der Import- und Exportzahlen nach Inkrafttreten des KGTG scheut keinen Vergleich mit den Zahlen aus den Jahren davor: Einem durchschnittlichen Umschlagsvolumen von circa 2603 Millionen Franken pro Jahr in der Zeit vor dem KGTG (2001–2004) steht ein um 746 Millionen Franken gesteigertes jährliches Umschlagsvolumen von durchschnittlich circa 3449 Millionen Franken in den vier Jahren seit 2006 gegenüber.6
1 Gemäss den provisorischen Zahlen der schweizerischen Aussenhandelsstatistik des Jahres 2010.
2 Im Vergleich zur EU (Zahlen von 2009) mit 2082 Millionen Euro Importen und 3047 Millionen Euro Exporten eine erstaunliche Marktstärke. Für die EU ist die Schweiz im Bereich Kunst und Antiquitäten nach den USA die weitaus wichtigste Handelspartnerin. 22 % der Importe in die EU kommen aus der Schweiz (nach 56 % aus den USA) und 30 % der Exporte gehen in die Schweiz (nach 42 % in die USA).
3 Zu beträchtlichem materiellem Kunstbesitz kamen die Eidgenossen des späten 15. Jahrhunderts, als sie in den burgundischen Lagern nach den siegreichen Schlachten gegen die Armeen Karls des Kühnen 1476 bei Grandson und Murten Schätze höfischer Kunst nach Hause trugen. Im Übrigen ist in der Schweiz eine Hofkunst mangels einer Monarchie nicht vorhanden.
4 Daneben gehören Thomas Hirschhorn und Sylvie Fleury mit ihren Installationen und Skulpturen zu den Top 100 des Kunstkompasses.
5 Das Kulturgütertransfergesetz regelt die Einfuhr von Kulturgut in die Schweiz, seine Durch- und Ausfuhr sowie seine Rückführung aus der Schweiz.
6 Aussenhandelsstatistik der eidgenössischen Zollverwaltung, www.ezv.admin.ch.
7 Welch hohen Einfluss die Steuergesetzgebung auf einen nationalen Kunstmarkt hat, konnte man seit 2002 an der Entwicklung des deutschen Marktes ablesen: Im Zuge einer politischen Diskussion über die Erhöhung der Mehrwertsteuer für Kunstwerke auf den vollen Steuersatz eröffneten viele Galerien Niederlassungen in der Schweiz, um ihre Geschäfte über ein Unternehmen im Nicht-EU-Bereich abzuwickeln.
8 Als Folgerecht bezeichnet man das Recht der bildenden Künstler auf prozentuale Beteiligung am Erlös im Falle der Weiterveräusserung ihrer Kunstwerke im Kunsthandel. Es trägt dem Umstand Rechnung, dass bildende Künstler ihr Werk nur einmal verkaufen können, so dass sie von späteren Wertsteigerungen ihrer Arbeit (ohne Folgerechtsregelung) ausgeschlossen wären.