Vom Bauernland zur Kunstmarktmacht
Doch diese strahlenden Ausnahmeerscheinungen lagen in jahrhunderteweiter Ferne, als hierzulande zu Beginn des 20. Jahrhunderts erste Grosssammler vom Range eines Oskar Reinhart und des Ehepaares Hedy und Arthur Hahnloser bezeichnenderweise in der Industriestadt Winterthur den Grundstein zu einigen der berühmtesten Impressionisten- und Modernesammlungen legten. Die Schweiz hatte sich dank Dampfmaschine, mechanischen Webstühlen und einer nicht zuletzt auch von tüchtigen Einwanderern aus Deutschland vorangetriebenen Industrialisierung vom armen Agrarstaat mindestens teilweise zu einem produktiven, konkurrenzfähigen Industriestandort gemausert. Wie andernorts in Europa entdeckte ein wohlhabendes Bildungsbürgertum Kunst und Kultur, und so entstanden in vielen Schweizer Städten erste Künstlervereinigungen und Kunstgesellschaften, angeführt von der 1776 in Genf gegründeten Société des Arts und der 1797 folgenden Zürcher Kunstgesellschaft. Schon 1806 vereinten sich manche dieser regionalen Kunstgesellschaften unter dem gesamtschweizerischen Dach des Schweizerischen Kunstvereins, und seit 1906 verbanden sich die Schweizer Kunstschaffenden in der Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten (GSMBA), die ihrerseits aus der vierzig Jahre älteren Gesellschaft Schweizerischer Maler und Bildhauer hervorgegangen war. (Ausführlicheres zur Geschichte des Schweizer Kunsthandels findet sich beispielsweise in der 2006 vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft herausgegebenen Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der Credit Suisse: «Das Kunstschaffen in der Schweiz 1848–2006», ISBN 3-7165-1462-4).
Einen Kunst- und Antiquitätenhandel im heutigen Sinne gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwar noch kaum, aber wie andernorts dienten den neuen, reichen Kunstsammlern auch hierzulande Rahmen-, Farben- und Künstlerbedarfhändler, Buchhändler und Drucker als erste Anlaufstellen für den Erwerb von Kunstwerken. Und bald schon entwickelten sich hieraus die ersten eigentlichen Kunsthandlungen, Antiquariate, Galerien und Antiquitätengeschäfte. Und schon 1911 traf sich in Lausanne – wo der Buchhändler Erwin Frankfurter fast gleichzeitig seinen Salon du Grand-Chêne abhielt – im Stadtteil Ouchy am Ufer des Genfersees eine kleine Gruppe von rund zwanzig interessierten Kunsthändlern und Antiquaren zur Gründung des Verbandes Schweizerischer Antiquare und Kunsthändler als einer Art Interessengemeinschaft zur Förderung beruflicher und wirtschaftlicher Ziele, zur Wahrung der Standesehre und zum Schutz vor Missbräuchen. Zu den Gründungsmitgliedern dieses Verbandes Schweizerischer Antiquare und Kunsthändler (VSAK) gehörten unter anderem H. Messikommer und C. Brunner aus Zürich, C. Hirsbrunner aus Luzern, L. Woog aus Bern, E. Dreyfuss aus Genf und A. Nagel aus St. Gallen. Einzelne Namen dieser ersten Stunde spiegeln eine schon fast dynastische Qualität des schweizerischen Kunsthandels: So ist das Gründungsmitglied Theodor Fischer aus Luzern der Vater des nachmals berühmten Dr. Paul Fischer und der Grossvater von Dr. Kuno Fischer, der heute die Geschicke der Luzerner Galerie Fischer in dritter Generation leitet und zugleich als Präsident des Verbandes Schweizerischer Auktionatoren amtiert. Der Basler Berthold Ségal wiederum ist der Grossvater des Basler Kunsthändlers und Präsidenten der Messegesellschaft KAM AG, Dr. Georges B. Ségal, und Dr. E. Rothenhäusler ist schliesslich der Vater der international museumsbekannten Zürcher Glasmalereispezialistin Dr. Sibyll Kummer-Rothenhäusler.